Das Imaginäre und das Spiegelstadium

Das Imaginäre und das Spiegelstadium

Blick in den Spiegel: Caravaggios „Narziss“

Die Theorie des Spiegelstadiums (Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, in: Schriften I, S. 61–70) zählt zu Lacans berühmtesten Konzeptionen. Sie geht auf Beobachtungen des Psychologen James Mark Baldwin zurück.

Nach Lacan beginnt das Kind in der Zeit zwischen dem 6. und dem 18. Lebensmonat, wenn man es vor einen Spiegel hält, sich selbst in ihm zu erkennen und zu identifizieren, worauf es mit einer „jubilatorischen Geste“ reagiert. Mit einem deutschen Begriff nennt Lacan diesen wichtigen Einschnitt ein Aha-Erlebnis. Von nun an verändert sich der Blick auf das eigene Selbst, ja er wird jetzt überhaupt erst möglich: aus dem in „Partialobjekte“ „zerstückelten“ Blick auf sich aus der Leib-Perspektive wird nun ein Blick von außen, der das Kind erstmals vollständig zeigt. Die jubilatorische Geste ist deshalb auch eine narzisstische Geste der Allmachtsphantasie, in der sich ein „Größenselbst“ („Ideal-Ich“) zeigt, das fortan zur Matrix wird, auf die das Subjekt sein Ich orientiert. Das Spiegelstadium geht darum mit der psychischen Geburt des Ichs einher.

Zugleich aber ist das Spiegelstadium der Beginn einer Entfremdung. Denn im Spiegel sieht das Kind eine körperliche Einheit, die es selbst noch gar nicht fühlt. Es identifiziert sich mit etwas, das es nicht ist, nämlich mit der „totalen Form des Körpers“, und zwar an einem Ort, an dem es sich nicht befindet (nämlich im Spiegel). Deshalb ist das Erkennen im Spiegel zugleich ein imaginäres Verkennen und führt zur Spaltung des Subjekts in „moi“ (Ideal-Ich, das „imaginäre Subjekt“) und „je“, das soziale Ich. Daraus folgt der im Deutschen paradox klingende Satz: „Das ich ist nicht das Ich.“ – „Le je n’est pas le moi.“

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